Abgasskandal: Neue Studie lässt illegale Abschalteinrichtungen bei 150 Diesel-Modellen vermuten

München, 23.03.2023. Der International Council on Clean Transportation Europe – kurz ICCT – war schon 2015 entscheidend an der Aufdeckung des Abgasskandals beteiligt. Nun lässt eine Studie des ICCT vermuten, dass der Dieselskandal noch ein größeres Ausmaß hat als bisher bekannt. Denn die Auswertung von Abgastests zeigte, dass 150 von mehr als 200 untersuchten Dieselmodellen mit den Abgasnormen Euro 5, 6b und 6c verdächtig hohe Stickoxid-Emissionen aufweisen. Die Verfasser der Studie gehen mit großer Wahrscheinlichkeit davon aus, dass bei diesen Fahrzeugen unterschiedlicher Hersteller unzulässige Abschalteinrichtungen zum Einsatz kommen, berichtet das Handelsblatt, dem die Studie schon vorab vorliegt.

Basis der Studie sind die Ergebnisse von Abgastests offizieller Regierungsbehörden, die um Messergebnisse von Umweltorganisationen ergänzt wurden. Die Untersuchung des ICCT bezieht sich dabei auf rund 200 Dieselfahrzeuge unterschiedlicher Hersteller mit den Abgasnormen Euro 5 bzw. 6. Von diesen Modellen wurden zwischen 2009 und 2019 rund 53 Millionen Fahrzeuge allein in Europa verkauft, die meisten von VW.

Grenzwerte um das Drei- bis Vierfache überschritten

Bei den 150 Modellen, bei denen das ICCT aufgrund der hohen Stickoxid-Emissionen eine unzulässige Abschalteinrichtung vermutet, seien die gesetzlichen Grenzwerte für den Emissionsausstoß mindestens um das Drei- bis Vierfache überschritten worden. Trauriger Spitzenreiter ist laut der Untersuchung ein Opel Insignia 2,0 Liter mit der Schadstoffklasse Euro 5. Hier lag der gemessene Wert 16,7 Mal höher als von Opel angegeben. Rund achtmal höher als angeben waren die Emissionswerte bei einem Skoda Octavia 1,6 L Euro 5 und bei einem Nissan Qashqai 1,5 L Euro 5. Nicht viel besser ist es bei einem Renault Scenic 1,5 L Euro 5 oder Dacia Duster 1,5 L Euro 5, bei denen der gemessene Emissionsausstoß 6,2 Mal höher war als ausgewiesen. Mehr als viermal so groß waren die Emissionswerte bei einen VW Passat 2,0 L Euro 5, einem VW Tiguan 2,0 L Euro 5 und einem Renault Clio 1,5 L Euro 5. Immer noch fast dreimal höher als angegeben, waren die Testwerte bei einem Ford Focus 1,6 L Euro 5 und 2,7 Mal höher bei einen Peugeot 308 1,6 L mit der Abgasnorm Euro 6. Das ist nur ein Auszug der Ergebnisse der Studie, den das Handelsblatt am 23.03.2023 veröffentlicht hat.

Thermofenster bei Abgasreinigung festgestellt

Außerdem wurde bei rund 50 Modellen ein sog. Thermofenster festgestellt. Dieses sorgt dafür, dass die Abgasreinigung zwar in einem festgelegten Temperaturkorridor zu 100 Prozent arbeitet, aber bei kühleren Außentemperaturen zurückgefahren wird. Folge ist, dass die Stickoxid-Emissionen steigen. Der EuGH hat bereits entschieden, dass solche Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen.

„Die Studie legt nah, dass der Abgasskandal ein noch größeres Ausmaß hat als bekannt“, sagt Rechtsanwalt Franz Braun, CLLB Rechtsanwälte. Dafür spricht auch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20.02.2023. Das Gericht hatte das Software-Update bei einem VW Golf mit dem vom Abgasskandal bekannten Dieselmotor EA 189 für unzulässig erklärt, weil es eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines Thermofensters enthält. Solche Updates wurden nach Bekanntwerden des Abgasskandals auf Millionen Fahrzeuge der Marken VW, Audi, Seat und Skoda aufgespielt. „Diese Fahrzeuge sind vermutlich weiterhin mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung unterwegs“, so Rechtsanwalt Braun.

Mehr als 100 weitere Klagen sind in diesem Zusammenhang am VG Schleswig anhängig. Davon sind nicht nur VW-Modelle, sondern auch Fahrzeuge anderer Hersteller betroffen.

EuGH: Schadenersatz schon bei Fahrlässigkeit

Bei allen Fahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gilt, dass die Käufer einen Schadenersatzanspruch gegen die Fahrzeughersteller haben. Das hat der EuGH am 21.03.2023 in einem wegweisenden Urteil entschieden (Az. C-100/21). Für den Schadenersatzanspruch reicht es nach dem EuGH-Urteil schon aus, wenn der Autohersteller nur fahrlässig gehandelt hat. „Es muss nicht mehr nachgewiesen werden, dass der Fahrzeughersteller vorsätzlich sittenwidrig gehandelt hat. Das macht die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erheblich leichter“, so Rechtsanwalt Braun. Für Schadenersatzansprüche müssen nach der EuGH-Entscheidung nur drei Voraussetzungen erfüllt sein: Es muss eine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegen, der Autohersteller muss mindestens fahrlässig gehandelt haben und dem Käufer muss ein Schaden entstanden sein. Rechtsanwalt Braun: „Diese Voraussetzungen dürften in den meisten Fällen erfüllt sein.“

Mehr Informationen: https://www.diesel-abgasskandal.de/

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