BGH ebnet Weg für Schadenersatz im Abgasskandal

München, 09.05.2023. Mercedes, VW und Audi werden im Abgasskandal vermutlich bittere Pillen schlucken müssen. Denn der Bundesgerichtshof wird voraussichtlich entscheiden, dass Autokäufer wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen Anspruch auf Schadenersatz haben. Diese Tendenz ließ der BGH in den Verhandlungen am 8. Mai 2023 erkennen. Damit würde sich der BGH der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anschließen, dass auch dann Schadenersatzansprüche im Abgasskandal bestehen, wenn der Autohersteller nur fahrlässig gehandelt hat. Die Urteile des BGH werden am 26. Juni 2023 erwartet (Az.: VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und  VIa ZR 1031).

Der EuGH hatte mit Urteil vom 21. März 2023 deutlich gemacht, dass Schadenersatzansprüche im Dieselskandal nicht nur dann bestehen, wenn die Autohersteller vorsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet haben, sondern auch schon, wenn die illegale Funktion fahrlässig verbaut wurde. „Der BGH hat nun angedeutet, dass er dieser verbraucherfreundlichen Rechtsprechung folgen wird. Die Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen wäre dann wesentlich einfacher“, sagt Rechtsanwalt Franz Braun, CLLB Rechtsanwälte.

Für den BGH würde dies eine Kehrtwende zu seiner bisherigen Rechtsprechung im Abgasskandal bedeuten. Bislang vertraten die Richter in Karlsruhe die Auffassung, dass Schadenersatzansprüche nur dann bestehen, wenn dem Autohersteller eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nachgewiesen wird. Dieser Nachweis ist in der Regel schwer zu führen, da Außenstehende keinen Einblick in die interne Entscheidungsstruktur der Autokonzerne haben.

So hat der BGH bislang auch Schadenersatzansprüche bei der Verwendung eines Thermofensters bei der Abgasreinigung abgelehnt. Auch wenn durch ein solches Thermofenster die Abgasreinigung nur in einem festgelegten Temperaturbereich vollständig arbeitet und bei sinkenden Außentemperaturen zurückgefahren wird, so dass der Stickoxid-Ausstoß steigt, lehnte der BGH Schadenersatzansprüche ab, weil es ihm am Vorsatz der Autohersteller fehlte. „Da dieser Vorsatz nun mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr nachgewiesen werden muss, wird es leichter, Schadenersatzansprüche durchzusetzen“, so Rechtsanwalt Braun. „Das gilt unabhängig vom Autohersteller und der Art der unzulässigen Abschalteinrichtung.“

Der BGH hat in drei Verfahren über Schadenersatzansprüche im Dieselskandal zu entscheiden. Im Verfahren zum Aktenzeichen VIa ZR 103/22 hat der Käufer eines Mercedes C 220 d mit dem Dieselmotor des Typs OM 651 und der Abgasnorm Euro 6 geklagt. Er macht Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen, u.a. eines Thermofensters und der sog. Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung, geltend.

Um ein Thermofenster geht es auch bei der Schadenersatzklage eines VW-Kunden. Dieser hatte 2017 einen VW Passat mit dem Dieselmotor EA 288, dem Nachfolgemodell des durch den VW-Dieselskandal bekannt gewordenen Motors EA 189, gekauft. Er machte Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen, u.a. eines Thermofensters, geltend (Az.: VIa 335/21).

Im dritten Verfahren ging es schließlich um einen Audi SQ5 3.0 TDI. Für dieses Modell hatte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) schon Ende 2017 einen Rückruf angeordnet, damit eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form der sog. Aufheizstrategie entfernt werden kann. Der Kläger hatte das Fahrzeug erst nach dem Rückruf im Mai 2018 gekauft.

Der BGH hat erkennen lassen, dass er Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für gegeben hält. Der EuGH hatte bereits entschieden, dass auch Thermofenster bei der Abgasreinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung darstellen und die Käufer betroffener Fahrzeuge Anspruch auf Schadenersatz haben. Der BGH wird sich dieser Auffassung wohl anschließen. Es ist damit zu rechnen, dass er in den ersten beiden Fällen zum Mercedes und VW Passat Schadenersatz zusprechen wird. Im dritten Verfahren könnte dies anders aussehen, weil der Kläger von dem Rückruf für den Audi SQ5 schon vor dem Kauf hätte wissen können. Das könnte seinen Schadenersatzanspruch zumindest schmälern. Grundsätzlich hätten aber auch hier Schadenersatzansprüche wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bestanden.

„Es wird zunehmend deutlich, dass die Autohersteller sich schadenersatzpflichtig gemacht haben, wenn sie eine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet haben. Ob es sich dabei um ein Thermofenster, eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung bei Mercedes, die Aufheizstrategie bei Audi oder eine andere illegale Funktion handelt, ist dabei unwesentlich“, so Rechtsanwalt Braun. Daher bestehen gute Chancen, Schadenersatz gegen Mercedes, VW, Audi oder andere Autohersteller, die eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut haben, durchzusetzen.

Mehr Informationen: https://www.diesel-abgasskandal.de/betroffene-fahrzeuge

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